Bundestag beschließt Carbon Leakage Verordnung

Welche Unternehmen können die Kosten des nationalen Brennstoffemissionshandels kompensieren?

Der Gesetzgeber will vermeiden, dass Unternehmen ihre Produktion ins Ausland verlagern, um der seit 01.01.2021 in Deutschland geltenden CO2-Bepreisung durch das BEHG in den Sektoren Verkehr und Wärme zu entgehen. Zu diesem Zweck hat das Kabinett dem Bundestag einen Entwurf einer Verordnung über Maßnahmen zur Vermeidung von Carbon-Leakage durch den nationalen Brennstoffemissionshandel zugeleitet (19/28163). Wir haben darüber berichtet. Am 21.06.2021 wurde dieser Entwurf durch die Koalitionsfraktionen nochmal leicht angepasst. Der Bundestag hat diese Carbon Leakage Verordnung (BECV) am 24.06.2021, über Kompensationsmaßnahmen für vom CO2-Preis besonders betroffen Unternehmen, beschlossen. Im weiteren Verfahren müssen die im BECV festgelegten Beihilfen noch durch die Europäische Kommission genehmigt werden.

Es sind eine ganze Reihe von Hürden zu überwinden, damit betroffene Unternehmen die Beihilfezahlungen in Anspruch nehmen können. Auf Basis der festgelegten Regularien geht der Gesetzgeben davon aus, dass ca. 2.000 Unternehmen einen Anspruch auf Beihilfe haben werden. Diese Anzahl könnte sich noch einmal deutlich erhöhen, wenn die Liste der beihilfeberechtigten Unternehmen erweitert wird (siehe unten). Der Gesetzgeber weist aber darauf hin, dass auch bei Vorliegen aller Voraussetzungen die beantragte Beihilfe nur dann gewährt werden kann, wenn die erforderlichen Haushaltsmittel zur Verfügung stehen.

Gegenüber dem Kabinettsentwurf ergeben sich folgende,  besonders für die kleineren Unternehmen, wichtige Änderungen:

  • Bislang war in dem Entwurf Carbon Leakage Verordnung ein Selbstbehalt von 150 Tonnen CO2 vorgesehen. Nun gibt es eine Staffelung. Bei einem Verbrauch von weniger als 9,2 Mio. kWh pro Jahr sinkt der Selbstbehalt auf 50 Tonnen. Danach steigt er stufenweise an, ab 10 Mio. kWh Brennstoffeinsatz auf 150 Tonnen.
  • Das Umweltbundesamt soll in Austausch mit der Branche einen jährlichen Bericht erstellen, der die Auswirkungen der CO2-Bepreisung auf die Wettbewerbssituation analysiert. Im Jahr 2023 soll eine Evaluierung der Verordnung durchgeführt werden. Ein Ziel dabei ist, zu überprüfen, ob mit dem Anstieg des CO2-Preises eine Erhöhung der Kompensationsgrade notwendig ist.

Sektorenzuordnung (§ 5)

Grundlage für die Beurteilung der Verlagerungsrisiken ist eine Sektorenliste in Anlehnung der Sektorenliste des EU-Emissionshandels. Es können aber auch weitere Sektoren nachträglich anerkannt werden, wenn ihr nationaler Carbon-Leakage-Indikator den Wert von 0,2 übersteigt. Der nationale Carbon-Leakage-Indikator soll das Risiko einer Verlagerung von Kohlendioxid Emissionen abbilden und stellt das Produkt der Handelsintensität und der Emissionsintensität des Sektors oder Teilsektor dar. Bezüglich der Erweiterung der Sektorenliste ist derzeit große Bewegung gekommen, denn dem Vernehmen nach sind viele Verbände dabei, Sektoren nachträglich anerkennen zu lassen.

Es wird ein gesondertes Anpassungsverfahren für die in dieser Verordnung aufgeführten Teilsektoren geregelt (§ 23 BECV). Hintergrund dieses Verfahrens ist der Umstand, dass die für die Zuordnung der Kompensationsgrade erforderlichen statistischen Daten nur auf der Ebene der Sektoren erhoben werden, nicht aber auf der Ebene der Teilsektoren. Aus diesem Grund sind den Teilsektoren zunächst Kompensationsgrade auf Grundlage der Emissionsintensität des jeweils vorgelagerten Sektors zugewiesen. Es besteht die Möglichkeit, der Anpassung der Emissionsintensität des Teilsektors, wenn diese in einem Prüfverfahren nachgewiesen wird. Dem Vernehmen nach arbeiten derzeit eine ganze Reihe von Verbänden und Kanzleien daran, die entsprechende Emissionsintensität von Teilsektoren anzupassen.

Mindestschwelle und Kompensationsgrad (§ 7)

Ist ein Unternehmen einem der beihilfeberechtigten Sektoren zuzuordnen, ist dies jedoch nur in den Jahren 2021 und 2022 mit der Beihilfeberechtigung des Unternehmens gleichzusetzen. Ab dem Jahr 2023 wird zusätzlich ein unternehmensbezogener Ansatz verfolgt. Maßgeblich für den unternehmensbezogenen Schwellenwert ist die Emissionsintensität des Unternehmens. Die Mindestschwelle beträgt für Unternehmen, die einem Sektor zuzuordnen sind, und für die ein Kompensationsgrad von 65 Prozent bis 90 Prozent festgelegt ist, 10 Prozent der angegebenen Emissionsintensität des Sektors. Für Unternehmen eines Sektors, für den ein Kompensationsgrad von 95 Prozent festgelegt ist, beträgt die Mindestschwelle 10 Prozent einer Emissionsintensität von 1,8 kg CO2 je Euro Bruttowertschöpfung des Unternehmens. Wenn das Unternehmen das Überschreiten des Schwellenwertes nicht nachweist, gilt ein Kompensationsgrad von 60 Prozent.

Unternehmensbezogene Emissionsintensität = beihilfefähige Brennstoffmenge x Emissionsfaktor (in kg CO2) / Bruttowertschöpfung (in Euro)

Berechnung des Beihilfebetrages (§ 8 und § 9)

Für die Berechnung des Beihilfebetrages wird auf Benchmarks zurückgegriffen. Die anzuwendenden Benchmarks entsprechen den geltenden einheitlichen Brennstoff- bzw. Wärme Benchmarks des EU-ETS in der vierten Handelsperiode 2021-2030. Laut Verordnung ist perspektivisch die Differenzierung nach mehreren Benchmarks denkbar. Unter der beihilfefähigen Brennstoffmenge sind nur die Brennstoffmengen zu verstehen, die auch tatsächlich im jeweiligen Abrechnungsjahr eine Abgabepflicht gem. BEHG nach sich ziehen und in einem räumlichen oder technischen Zusammenhang mit dem Produktionsprozess stehen. Es gelten folgende Definitionen:

Beihilfefähige Brennstoffmenge = Brennstoffverbrauch des Unternehmens im Abrechnungsjahr abzüglich Brennstoffe die ...

  1. in einer dem EU-Emissionshandel unterliegenden Anlage des Unternehmens eingesetzt wurden,
  2. zur Stromerzeugung eingesetzt wurden,
  3. zur Wärmeerzeugung für Dritte eingesetzt wurden,
  4. biogenen Ursprungs sind,
  5. im Falle von Erdgas nach § 25 des Energiesteuergesetzes steuerfrei verwendet wurden,
  6. zur Herstellung von Produkten oder zur Erbringung von Leistungen verwendet wurden, die keinem nach § 5 beihilfeberechtigten Sektor zuzuordnen sind, oder
  7. das Unternehmen vor dem 1. Januar 2021 bezogen hat.

Maßgebliche Emissionsmenge = beihilfefähige Brennstoffmenge x Brennstoff-Benchmark (EU ETS) x unterer Heizwert des eingesetzten Brennstoffs (Standardemissionswerte nach BeV 2022) -  Selbstbehalt

 

Gesamtbeihilfebetrag = Maßgebliche Emissionsmenge  x Kompensationsgrad des Sektors (nach Tabelle Anlage 1 und 2)  x CO2-Preis des Abrechnungsjahres

Bei einem Kompensationsgrad von 65 %, wie er für viele Sektoren und alle Teilsektoren vorgesehen ist, und einem Brennstoff-Benchmark für Erdgas von 85 %, ergibt sich rein rechnerisch eine Entlastung des CO2-Preises auf im Produktionsprozess eingesetzte Brennstoffe, die nicht höher als 55 % ist.

Selbstbehalt (§9 Absatz 1 und Absatz 6)

Es gilt ein Selbstbehalt von 150 Tonnen Kohlendioxid. Für Unternehmen, die im Abrechnungsjahr einen Gesamtenergieverbrauch von weniger als 10 Gigawattstunden hatten, gilt ein reduzierter Selbstbehalt. Dieser beträgt bei einem Verbrauch von
1. mehr als 9,8 Gigawattstunden: 130 Tonnen Kohlendioxid,
2. mehr als 9,6 Gigawattstunden: 110 Tonnen Kohlendioxid,
3. mehr als 9,4 Gigawattstunden: 90 Tonnen Kohlendioxid,
4. mehr als 9,2 Gigawattstunden: 70 Tonnen Kohlendioxid,
5. bis einschließlich 9,2 Gigawattstunden: 50 Tonnen Kohlendioxid.

Abgrenzung von Drittmengen (§9 Absatz 2)

Für die Berechnung der Beihilfemenge werden Brennstoffe, die zur Wärmeerzeugung für Dritte eingesetzt werden, nicht berücksichtigt und müssen abgegrenzt werden. Dieses kann erheblichen Zusatzaufwand erzeugen, wie die Erfahrungen aus der Drittstrommengenabgrenzung beim EEG zeigen. So ist nicht genau geklärt, was unter einem Dritten zu verstehen ist. Es stellen sich den Unternehmen im Brennstoff/Wärmebereich, daher in der Praxis genau wie im Strombereich zahlreiche Abgrenzungsfragen. Zum Beispiel auch, wie mit „Kleinstwärmelieferungen“ für auf dem Hof tätige Drittfirmen oder die Wärmelieferung für von Dritten genutzten Räumlichkeiten, umgegangen werden muss.

Im Zusammenhang mit Wärmelieferung ist darüber hinaus nicht geklärt, wie die Carbon Leakage Entlastung erfolgen soll, wenn der belieferte Dritte die Wärme zur Herstellung von Produkten, die beihilfeberechtigten Sektoren zuzuordnen sind, nutzt.

KWK-Anlagen (§9 Absatz 4)

Bei Nutzung von Brennstoffen für eine KWK-Anlage ist der für die Stromerzeugung eingesetzte Brennstoffanteil abzuziehen. Für eine KWK-Anlagen mit einem Gesamtwirkungsgrad von 90 Prozent und einer realistischen Strom- und Wärmeaufteilung ergibt sich ein weiterer Abzugsfaktor von über 50 %. Damit reduziert sich der rechnerisch mögliche Kompensationsgrad auf knapp 30 % der, für die KWK-Anlage, eingesetzten Brennstoffmenge. Das sind hier nur grobe Schätzungen und müssen für den Einzelfall konkret berechnet werden. Entsprechend erhöht sich der eigenerzeugte  Strompreis deutlich. Es ist weiterhin wichtig zu prüfen, welcher Benchmark für diese Anlagen verwendet wird. Die Verordnung erlaubt sowohl den Brennstoffbenchmark als auch den Wärmebenchmark. In Einzelfällen macht das einen deutlichen Unterschied.

Unsicherheit entsteht für Energiedienstleister. Erzeugt ein Energiedienstleister oder Contactor hocheffiziente Wärme mit KWK-Anlagen und unterliegt nicht dem TEHG, aber stellt diese Wärme einem  Unternehmen der Sektorenliste zur Verfügung, so ist in der Carbon-Leakage-Verordnung die Zuordnung dieser CO2-Mengen und -Kosten nicht explizit geregelt. Dies führt dazu, dass der Energiedienstleister zunächst mit den CO2-Kosten belastet wird. Da er keinem Sektor zugeordnet ist, fällt eine Kompensation und die Investition in Effizienztechnologien für ihn selber weg. In welcher Form die BEHG Kosten weiter berechnet werden können, ist im Gesetz und den Verordnungen nicht explizit geregelt. Für solche Fälle ist eine individuelle Überprüfung der Lieferverhältnisse und Verträge sinnvoll.

Energieeffizienznetzwerke oder Energieeffizienzgutachten (§ 10)

Ein antragstellendes Unternehmen muss ein Energiemanagementsystem betreiben, um die Beihilfe zu erhalten. Grundsätzlich soll das System nach DIN EN ISO 50001 oder nach EMAS mit Energieeffizienz zertifiziert sein. Zur Einführung des Energiemanagementsystems wird den antragstellenden Unternehmen eine Übergangszeit eingeräumt. Ab Antrag auf Beihilfe für das Jahr 2023 muss ein Energiemanagementsystem nachgewiesen werden, dass mindestens seit dem 1. Januar 2023 betrieben wird. Für Unternehmen, die einen vergleichsweise geringeren Gesamtenergieverbrauch haben, sind Erleichterungen vorgesehen. Für diese Unternehmen gilt die Anforderung, dass sie bis zum Jahr 2023 ein nicht zertifiziertes Energiemanagementsystem nach DIN EN ISO 50005 (mindestens bis Level 3) im Unternehmen einführen. Alternativ besteht für diese Unternehmen auch die Möglichkeit der Mitgliedschaft in einem bei der Deutschen Energieagentur GmbH angemeldeten Energieeffizienz- und Klimaschutznetzwerk.

Auswahl von geeigneten Klimaschutzprojekten (§ 11)

Um Beihilfe zu erhalten, müssen die Unternehmen in Klimaschutz- / Effizienzmaßnahmen investieren.  Die getätigte Investitionssumme ohne Berücksichtigung von Fördermitteln Dritter muss in den Abrechnungsjahren 2023 und 2024 mindestens 50 % und ab dem Abrechnungsjahr 2025 mindestens 80 % des dem Unternehmen gewährten Beihilfebetrags für das dem Abrechnungsjahr vorangegangenen Jahres entsprechen.

In den ersten Abrechnungsjahren 2021 und 2022 haben die Unternehmen die Gelegenheit, entsprechende Investitionsmöglichkeiten zu identifizieren und eine Umsetzung in den Folgejahren vorzubereiten. Zur Gewährung der Beihilfe für die Abrechnungsjahre 2021 und 2022 ist deswegen kein Nachweis über Investitionsmaßnahmen notwendig. Investitionen auf Grundlage der Beihilfe sollen zusätzliche Maßnahmen sein. Daher sind solche Maßnahmen nicht anrechenbar, zu deren Durchführung das Unternehmen bereits durch behördliche Anordnung oder aufgrund konkreter ordnungsrechtlicher Vorgaben verpflichtet ist. Im Übrigen können die Unternehmen jedoch für die genannten Maßnahmen auch Fördermittel Dritter in Anspruch nehmen. In diesen Fällen sind dem Unternehmen gewährte Drittmittelförderungen von der Investitionssumme abzuziehen sind. Bei umfangreichen Investitionsvorhaben ist die Anrechnung nicht auf das Abrechnungsjahr begrenzt, sondern kann in den nachfolgenden bis zu vier Abrechnungsjahren auf die erforderlichen Investitionsnachweise angerechnet werden.

Anträge auf Beihilfe (§13)

Beihilfeanträge sind  für die Abrechnungsjahre 2021 bis 2030 jeweils bis zum 30. Juni des auf das Abrechnungsjahr folgenden Kalenderjahres zu stellen. Für Unternehmen in Sektoren, die nachträglich als beihilfeberechtigt anerkannt werden, gilt eine Nachfrist von drei Monaten nach Bekanntgabe der Anerkennung im Bundesanzeiger. Die zuständige Behörde ist das Umweltbundesamt und hierfür wird die Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt) federführend sein, die bereits die Beihilfeverfahren zur Strompreiskompensation im EU-Emissionshandel durchführt. Dem Antrag auf Beihilfe müssen alle zur Prüfung der Antragsvoraussetzungen und zur Berechnung der Beihilfehöhe erforderlichen Angaben und Daten sowie die erforderlichen Nachweise beigefügt werden. Bei der Berechnung der Beihilfe legt das Umweltbundesamt nur solche Angaben zugrunde, deren Richtigkeit ausreichend gesichert ist. Das antragstellende Unternehmen muss das Vorliegen der tatsachenbezogenen Angaben, die dem Beihilfeantrag zugrunde liegen, durch einen Wirtschaftsprüfer prüfen lassen.

Unsicherheit

Für viele Unternehmen könnte in den nächsten Wochen Handlungsbedarf bezüglich der Vorgaben der BECV bestehen. Zumindest ist es sinnvoll, vorbereitet in die erste Antragstellung bis zum Juni 2022 zu gehen. Es besteht allerdings noch einiges an Klärungsbedarf und Konkretisierung durch die zuständigen Behörden. EINTEC begleitet Unternehmen bei der Antragstellung und der konkreten weiteren Ausgestaltung der Vorgaben der BECV im Unternehmen.