Wasserstoff für die Industrie; von Heiko Lohmann

Der Journalist und Gasmarktexperte Heiko Lohmann beschreibt in diesem Artikel, wie sich das Hype-Thema Wasserstoff entwickelt und was das für die Industrie bedeuten könnte. Die Industrieunternehmen, nicht nur aus der Stahl- und der Chemiebranche sollten die Entwicklungen beim Thema Wasserstoff im Auge behalten. Alle Unternehmen könnten zumindest indirekt (Beimischungen, Regulierungsfragen) betroffen sein. Aber auf dem Weg zu einem Wasserstoffmarkt sind noch etliche Hürden zu überwinden. Die richtige Arbeit fängt 2021 erst an. Dieser Artikel als pdf. 

Anfang 2018 hatte der Bundesverband der Industrie (BDI) eine große Studie „Klimapfade für Deutschland“ veröffentlicht. Angefertigt wurde die Studie den Beratungsgesellschaften The Boston Consulting Group und Prognos. Ein Lenkungskreis des Verbandes hat Analysen und Ergebnisse während der Erstellung intensiv und wohl auch sehr kontrovers diskutiert.  Es war damals im Grunde die Eintrittskarte des BDI zur generellen klimapolitischen Diskussion und das klare Signal eines Bekenntnisses zum Klimaschutz. Aber natürlich soll nicht die olle Studie Gegenstand dieses Beitrags sein. Interessant ist allein, Wasserstoff spielte in der Studie im Grunde keine zentrale Rolle. Er wurde aber als ein möglicher „Game Changer“ zum Erreichen der Klimaziele bezeichnet. Die Einsatzreife sei aber noch nicht absehbar, hieß es in der Studie. An verschiedenen Stellen wurde auf die Möglichkeiten der Wasserstoffnutzung verwiesen, dies aber als zu teuer und im Grunde wenig praktikabel verworfen. So schreiben die Autoren über die mögliche Umstellung der Stahlproduktion vom Hochofenprozess auf die Direktreduktion des Eisenerzes mit Wasserstoff, dies sei mit hohem Kostenaufwand verbunden und auf Grund bestehender Reinvestitionszyklen kaum realistisch. Zudem würde für die Erzeugung des „grünen“ Wasserstoffs mit Hilfe von Strom aus erneuerbaren Energien, ein Ausbau für erneuerbare Erzeugung benötigt, der über die Potenziale in Deutschland hinausginge.

Die Argumente sind nach wie vor nicht falsch, aber dennoch steht nur zwei oder drei Jahre später die Stahlindustrie an erster Stelle, wenn es um den möglichen zukünftigen Einsatz von CO2-freiem oder CO2-neutralen Wasserstoff (zum Unterschied später mehr) geht. Was ist passiert und welche enormen Herausforderungen bleiben?

Zum einen hat das Thema Wasserstoff seit 2018 oder 2019 einen unglaublichen „Hype erfahren“. Vom möglichen „Game Changer“ ist das simple Produkt H2 zum Heilsbringer oder Champagner oder einem „sexy Energieträger“ (Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier) mutiert. Und dieser Prozess findet nicht nur in Deutschland, nein er findet global statt. Die deutsche Sektion des Weltenergierates (die mit dem BDI eng verbandelt ist) hat es analysieren lassen. Ende 2017 hat Japan als erstes Land eine Wasserstoffstrategie verabschiedet, Anfang 2019 Südkorea. Seit Ende 2019 sind es sieben weitere Staaten, darunter Deutschland, sowie die Europäische Union. Der Hype hat meines Erachtens zwei klima- und energiepolitische Gründe sowie einen oder zwei industriepolitische und geostrategische Gründe:

  • Der gesellschaftliche Druck, Klimaschutzziele ernst zu nehmen, steigt (teilweise auch der Gegendruck, dies nicht zu tun, aber die Diskussion wäre ein eigener Beitrag).
  • Die Erkenntnis hat sich durchgesetzt, dass zumindest in bestimmten Sektoren und Prozessen der direkte Einsatz von Strom aus erneuerbaren Energien nicht möglich oder nicht wirtschaftlich ist. Dort werden weiter flüssige und gasförmige Energieträger benötigt

Soweit die Klimaargumente, die aber nur einen Teil der Geschichte darstellen:

  • Wasserstoff schafft neue industrielle Produkte und Prozesse, deshalb soll das Feld industriepolitisch besetzt werden. Deutschland hat eine etablierte Wasserstoffindustrie, dies gilt aber auch vor allem für Japan.
  • Wasserstoff ermöglicht es aber auch neue globale Allianzen, Partnerschaften und Netzwerke zu knüpfen und damit ein neues energiestrategisches Gleichgewicht zu erreichen.

Auf Seiten der Industrie werden aus meiner Sicht die Klimaschutzziele mittlerweile sehr, sehr ernst genommen. Mehr und mehr Unternehmen formulieren sehr klar, bis wann sie selber ihre CO2-Emissionen deutlich reduzieren und CO2-neutral produzieren wollen. Für die Stahlindustrie bedeutet dies, die Investition in einen neuen Kohlebetriebenen Hochofen stellt mit ziemlicher Sicherheit ein Stranded Investment dar, das deutlich vor Ende der Nutzungsdauer abgeschrieben werden müsste.

Leider ändern weder nationale noch europäische Wasserstoffstrategien noch Einsichten in die Klimaschutz etwas daran, dass der Weg in eine Wasserstoffwirtschaft noch ein sehr steiniger ist. Ob und wie schnell er wirklich beschritten wird, erscheint Anfang 2021 durchaus offen. Mindestens fünf zentrale Herausforderungen lassen sich aus meiner Sicht identifizieren:

  • Wofür soll Wasserstoff in der Industrie eingesetzt werden?
  • Wer trägt die Kosten für den CO2-freien/neutralen Wasserstoff?
  • Was wird überhaupt als CO2-freier, also nachhaltiger, Wasserstoff akzeptiert.
  • In welcher Menge ist nachhaltiger Wasserstoff verfügbar?
  • Wie entsteht ein Markt für Wasserstoff?

Einsatz von Wasserstoff

Über die Frage, wo Wasserstoff eingesetzt werden soll, wird in der Politik intensiv gestritten. Die Basishypothese lautet, nachhaltiger Wasserstoff ist knapp (dazu gleich mehr), er soll nur da eingesetzt werden, wo keine anderen Dekarbonisierungsoptionen bestehen. In erster Linie soll in der chemischen Industrie konventionell produzierter Wasserstoff ersetzt werden (vor allem in Raffinerien und in der Ammoniakproduktion). Zudem gilt – wie schon erwähnt – die Stahlindustrie als der zentrale Anwendungsfall für Wasserstoff.

Eine andere Perspektive vertritt vor allem die Gaswirtschaft. Sie will sukzessive alle Anwendungen für Erdgas auf Wasserstoff (oder synthetisches Methan, das durch die Beimischung von CO2 zu Wasserstoff entsteht) umstellen. Dazu soll nach und nach eine höhere Konzentration an Wasserstoff dem Erdgas beigemischt werden. Aktuell sind maximal zehn Prozent zulässig, 20 Prozent ist das nächste Ziel des DVGW, des technischen Verbands der Gaswirtschaft. Gegen die zunehmende Beimischung von Wasserstoff zu Erdgas vor allem in den Hochdruckleitungen läuft aber unter anderem die chemische Industrie „Sturm“, da dadurch Qualitätsschwankungen entstehen, die unter anderem zu Problemen führen, wenn Erdgas als Grundstoff eingesetzt wird. Auch politisch haben Beimischkonzepte, und damit ein breiter Einsatz von Wasserstoff auch im Wärmemarkt nicht gerade Konjunktur.

Nachhaltiger Wasserstoff ist teuer

Egal wie man CO2-freien oder CO2-neutralen Wasserstoff erzeugt, er ist teurer als die heute eingesetzten Energieträger. Dies gilt zumindest so lange der CO2-Preis nicht deutlich höher als heute ist und nicht durch technologischen Fortschritt und eine Skalierung die Produktion von Wasserstoff deutlich günstiger geworden ist. Es werden auf jeden Fall Instrumente benötigt, um diesen Kostennachteil zu überbrücken. Dabei wird eine reine Subventionierung der Investitionen nicht ausreichen. Auch wenn das Wort „Wasserstoff-EEG“ vermutlich bei den meisten Akteuren Juckreiz auslöst, ohne ein, nennen wir es Marktdesign, wird es nicht gehen. Derzeit ist die Lieblingsidee der Politik in Deutschland aber auch Europa die Einführung von Carbon Contracts for Difference. Ausgeglichen wird dabei die Differenz zwischen den effektiven (und effizienten) CO2-Vermeidungskosten bei einem Einsatz von Wasserstoff und dem Marktpreis für CO2. Aber auch Quoten, die Anrechnung bei der Erfüllung von Anteilen an erneuerbaren Energien im Wärmesektor oder ähnliches sind vorstellbar. Die Kosten wird der Verbraucher oder der Steuerzahler tragen müssen.

Was ist nachhaltiger Wasserstoff?

Die Farbenlehre des Wasserstoffs gehört eindeutig zu den beliebtesten Spielen der Politik. „Gut“ ist in der Regel grüner Wasserstoff, der aus erneuerbarem Strom hergestellt mittels Elektrolyse (Power-to-Hydrogen) hergestellt wird. Wobei, richtig gut ist auch dieser Wasserstoff nur, wenn sichergestellt ist, dass nicht eine Kohle- oder Gaskraftwerk laufen muss, um dann in der Stromerzeugung fehlenden Grünstrom zu ersetzen. Also Wasserstoff sollte, so die ganz reine Lehre nur aus sonst abzuregelndem Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt werden. Heftig gestritten wird über die Nachhaltigkeit von blauem Wasserstoff. Dabei wird Erdgas mit dem Prozess der Dampfreformierung oder einem autothermischen Prozess (das ist effizienter) in Wasserstoff und CO2 aufgespalten. Mit der Methode wird auch heute der Wasserstoff erzeugt. Das CO2 soll aber dann nicht mehr in die Atmosphäre entlassen werden, sondern gespeichert werden. Carbon Capture and Storage (CCS) ist der Fach- für Gegner der Kampfbegriff. Das Verfahren ist aktuell die billigstes Möglichkeit CO2-neutralen Wasserstoff herzustellen, zudem sind Erdgas und CO2-Lagerstätten vorerst reichlich verfügbar. Die EU-Kommission ist aber optimistisch, dass 2030 grüner Wasserstoff mit Blauem konkurrenzfähig ist; zumindest dort wo billige erneuerbare Energien zur Verfügung stehen. Von vielen Akteuren, die sich für Umweltschutz einsetzen, wird sehr häufig die Nachhaltigkeit von blauem Wasserstoff bestritten. Dafür bestehen im Wesentlichen drei Gründe: Die Methanemission bei der Produktion und dem Transport des Erdgases gelten als Problem. Das CO2 werde zudem nicht komplett abgeschieden. Und die Sicherheit und Dauerhaftigkeit der CO2-Lagerung wird angezweifelt. In Ländern wie Großbritannien, den Niederlanden oder Norwegen ist blauer Wasserstoff ganz klar pragmatischer Teil der Lösung. Für Norwegen ist die Speicherung von CO2 ein zukünftiges Geschäftsmodell. Auch die EU ist vorsichtig positiv eingestellt, in Deutschland sind die Widerstände enorm. Unter anderem bestehen im Bundesumweltministerium deutliche Vorbehalt gegenüber blauem Wasserstoff. Das Spektrum der Wasserstoff-Farbenlehr ist noch deutlich breiter. Aus Platzgründen soll es aber hier bei grünem und blauen Wasserstoff bleiben.

Wo kommt der Wasserstoff her?

Wenn man denn nun allein grünen Wasserstoff als Teil eines nachhaltigen Energiesystems betrachtet, stellt sich die Frage, wo denn Wasserstoff aus erneuerbarem Strom produziert werden soll, vor allem wenn dieser Wasserstoff verlässlich und ausreichend unter anderem für die Industrie zur Verfügung stehen soll. Sicher nicht allein aus abgeregeltem Strom aus erneuerbaren Energien. Über den eingangs erwähnten Vorbehalt in der BDI-Studie, die potenzielle Erzeugungskapazität reiche nicht aus, besteht weitgehend Konsens. Als Lösung werden internationale Kooperationen angeboten, wo grüner Wasserstoff dort produziert werden soll, wo reichlich Strom aus erneuerbaren Energien (und möglichst auch Wasser) vorhanden ist. Nordafrika, Chile, aber auch Australien werden häufig als vielversprechende Kandidaten für eine große Wasserstoffproduktion genannt. Im Rahmen des Corona-Wiederaufbauprogramms aus dem letzten Jahr und der Wasserstoffstrategie wurden für solche Kooperationen zwei Mrd. Euro zur Verfügung gestellt. Allerdings ist der Aufbau solcher Kooperationen anspruchsvoll und wird Zeit benötigen. Das Schicksal von Desertec gilt dabei als „Menetekel“, weniger pathetisch als Beispiel dafür, wie anspruchsvoll solche Projekte sein können und eben auch nicht unbedingt erfolgreich. Eine im Grunde weitgehend offene Frage ist dabei auch der Transport von Wasserstoff in Schiffen – eine Pipeline aus Australien oder Chile ist unrealistisch -. Es gibt verschiedene technologische Ansätze für den Transport, keiner wird bisher für den Transport großer Mengen Wasserstoff genutzt. Naheliegend ist – ähnlich wie bei Erdgas – die Verflüssigung. Aber da Wasserstoff erst bei rund minus 250 Grad flüssig wird (Erdgas minus 160 Grad) bestehen eigene Herausforderungen. In Japan wurde ein erstes Schiff zum Transport von flüssigem Wasserstoff umgerüstet. Es soll in diesem Jahr beginnen Wasserstoff von Australien nach Japan zu bringen.

Ein Markt für Wasserstoff

Die Vision ist ein Handel für Wasserstoff wie heute für Erdgas. In den Niederlanden wird an entsprechenden Konzepten gearbeitet. Die EEX hat eine Händler-Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die sich mit dem Thema Wasserstoffhandel an der EEX beschäftigen soll. Einig sind sich wohl alle Akteure den Handel der grünen Eigenschaften von dem Handel mit dem Rohstoff Wasserstoff zu trennen. Benötigt wird dafür ein – möglichst europäisches – System an Herkunftsnachweisen. Daran sind die Arbeiten im Grunde relativ weit fortgeschritten, ein Pilotprojekt existiert. Da Wasserstoff, wie Erdgas ein leitungsgebundener Energieträger ist, wird ähnlich wie für Erdgas ein virtueller Handelspunkt in einem Wasserstoffnetz benötigt. Oben wurden die Herausforderungen beim Transport von Wasserstoff in Schiffen erwähnt. Beim Leitungstransport sind die Herausforderungen deutlich geringer. Der Transport von Wasserstoff in Pipelines ist gängige Praxis. Nach Einschätzung der deutscher Gasnetzbetreiber lassen sich Gasleitungen in der Regel ohne großen Aufwand für den Transport von Wasserstoff umwidmen. Die Fernleitungsnetzbetreiber haben deshalb die Errichtung eines ersten Wasserstoffnetzes vorgeschlagen, das weitgehend aus umgewidmeten Erdgasleitungen besteht. Sie wollen, dass die Erdgasnetzregulierung auf Wasserstoffnetze erweitert wird. Diesen Weg wird das Bundeswirtschaftsministerium vermutlich nicht mitgehen, da dann der Aufbau des Wasserstoffnetzes durch die Nutzer der Erdgasnetze über die Netzentgelte mit finanziert werden würde. Im Ministerium wird an einer eigenen Regulierung für Wasserstoffnetze gearbeitet, die noch in dieser Legislaturperiode Gesetz werden soll. Damit werden in einem ersten Schritt wohl nur fragmentierte Märke für Wasserstoff entstehen.

Fazit

Industrieunternehmen, nicht nur aus der Stahl- und der Chemiebranche sollten die Entwicklungen beim Thema Wasserstoff im Auge behalten. Alle Unternehmen könnten zumindest indirekt (Beimischungen, Regulierungsfragen) betroffen sein. Aber auf dem Weg zu einem Wasserstoffmarkt sind noch etliche Hürden zu überwinden. Die richtige Arbeit fängt 2021 erst an.